Artenvielfalt und Kulturlandschaft – Fünf vor zwölf
In vielen Revieren Niedersachsens sind sinkende Strecken beim Niederwild sowie ein dramatischer Rückgang anderer Arten der Kulturlandschaft zu beklagen. Die Jägerschaften der Landkreise Emsland und Grafschaft Bentheim wollen nun mit gezielten Maßnahmen dem Artenschwund entgegenwirken.
Wir haben keine Zeit mehr, wir müssen jetzt handeln! Mit diesen Worten unterstreicht Josef Schröer, Vizepräsident der Landesjägerschaft Niedersachsen (LJN) und selbst Jäger und Landwirt im westlichen Niedersachsen, die Dringlichkeit eines Projektes der Jägerschaften Aschendorf-Hümmling, Meppen, Lingen und Grafschaft Bentheim. „Wir wollen dem dramatischen Rückgang der Artenvielfalt in der Kulturlandschaft nicht tatenlos zusehen.“ Deshalb haben sich die vier Jägerschaften zusammengeschlossen und einen Biotop-Fonds als gemeinnützigen, eingetragenen Verein gegründet. Mitglieder des Vereins sind alle Kreisjägermeister und Jägerschaftsvorsitzende der Region Emsland und Grafschaft Bentheim. Des Weiteren stellt die Mitarbeit aller 38 Hegeringleiter die Grundvoraussetzung für das Gelingen dar. Sie sind die wichtigsten Multiplikatoren in die Jägerschaft vor Ort und zu den Landwirten.
Die Ursachen für den Rückgang vieler Arten sind sehr unterschiedlich. So waren Landwirte bis zum Herbst 2007 verpflichtet, einen bestimmten Prozentsatz ihre Ackerfläche stillzulegen. Danach wurde die obligatorische Flächenstilllegung zuerst für ein Jahr ausgesetzt und im Jahr 2009 in der EU schließlich endgültig abgeschafft – mit unheilvollen ökologischen Auswirkungen. Fast sämtliche Brachflächen wurden nun wieder unter den Pflug genommen. Doch damit verschwanden auch zahlreiche Rückzugsrefugien, die den Arten der Kulturlandschaft das ganze Jahr über Deckung und Äsung geboten hatten. Infolgedessen wurden zum Teil drastische Einbrüche der Besätze bei Fasan und Rebhuhn, aber auch bei anderen Vogelarten der Wiesen- und Weidelandschaft wie Kiebitz, Großer Brachvogel oder Feldlerche verzeichnet. Zwar noch nicht so gravierend, aber nicht minder alarmierend ist auch der Rückgang der Hasenbesätze.
Die dramatischen Besatzentwicklung haben auch die Revierinhaber in den Landkreisen Emsland und Grafschaft Bentheim beobachtet. So hat sich nach 2007 der landesweit zum Teil stark abnehmende Trend der Jahresjagdstrecke des Fasans auch in den Revieren der Landkreise Emsland und Grafschaft Bentheim fortgesetzt (siehe Grafik). Die Strecken sind zum Teil in nur wenigen Jahren um fast zwei Drittel zurückgegangen. Sicher spielt bei den geringeren Jahresstrecken auch eine Rolle, dass die Jäger den Hühnervogel behutsamer bejagt oder gar geschont haben, als sich ein Rückgang abzeichnete.
Die Forschung nach den Ursachen für den Besatzeinbruch bei Fasan und Rebhuhn ist bisher noch ohne Ergebnis geblieben: Am Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung an der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover werden u. a. Witterung, Habitatstruktur, Prädation (Verluste durch Beutegreifer) oder auch Krankheitserreger als mögliche Auslöser des Besatzrückgangs der beiden Feldhühner im westlichen Niedersachsen untersucht. Angenommen wird jedoch, dass mehrere Faktoren die Populationsentwicklung beeinflussen.
Schröer stellt fest, dass es in der heutigen Kulturlandschaft Verlierer wie Fasan, Rebhuhn und Hase, aber auch Kiebitz und Großer Brachvogel gebe. Andererseits profitierten andere Arten, z. B. Enten, Gänse, Tauben und Krähen sowie verschiedene Prädatorenarten. Der LJN-Vizepräsident vermutet, dass durch die intensive landwirtschaftliche Bewirtschaftung vielen „Verlierer“-Arten z. B. die Äsungsgrundlage und auch Deckungsmöglichkeiten entzogen werden. Als mögliche Ursachen nennt er u. a. fehlende Saumstrukturen. Vielfach würden Hecken und Feldgehölze entfernt, um Ackerflächen besser bewirtschaften zu können. Auch Seitenräume von Wegen würden häufig nach und nach umgepflügt. Dadurch seien viele Arten den Prädatoren am Boden und aus der Luft mehr oder weniger deckungslos ausgeliefert.
Aber auch die deutlich geringere Anzahl der Kulturarten sieht Schröer als Problem: „Hauptkulturart im Emsland und der Grafschaft Bentheim mit einem Anteil von etwa 45 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen ist Mais. In einigen Revieren liegt der Anteil sogar bei 75 Prozent. Ausgelöst durch das Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG) haben die Landwirte der Region ihre Chance gesehen, zusätzliches Einkommen zu erwirtschaften. Die Folgen für die Natur werden nunmehr sichtbar.“ Zudem würden Dauergrünland und Ackergrasflächen heute intensiver genutzt als noch vor wenigen Jahren. Oftmals dienten sie nur noch der Grünfutterernte mit bis zu fünf Mahden im Jahr und lediglich in Ausnahmefällen als Viehweide, schildert der LJN-Vizepräsident die aktuelle landwirtschaftliche Situation im Emsland. Auch würden die Flächen in immer kürzer werdender Folge durch verschiedene Kulturarten genutzt, z. B. werde Mais gleich nach der Ernte des Grünroggens im Mai, während der Brut- und Setzzeit, gelegt und nach dem Maishäckseln komme gleich wieder Grünroggen in den Boden.
Bisherige Maßnahmen seien zwar ein guter Ansatz, hätten jedoch für die Arten der Kulturlandschaft kaum einen nachhaltigen Nutzen, sagt Schröer. Als Beispiel nennt er einjährige Blühstreifen. Bei der Bevölkerung stießen die blühenden Feldsäume zwar auf positive Resonanz, aber der Zeitraum, in dem sie bestünden, sei zu kurz für die Fauna. So müssen förderfähige Blühstreifen verschiedener Programme oftmals erst bis zum 31. Mai angelegt werden und können bereits im Herbst, teilweise aber nicht vor dem 15. Oktober, wieder umgebrochen werden. Jedoch sind besonders in den Monaten März bis Mai Rückzugsräume z. B. für Fasane und Rebhühner wichtig. Die Hennen suchen in dieser Zeit ruhige, deckungsreiche Bereiche zum Brüten auf. Wenn die Küken dann ab Anfang Mai ausfallen, benötigen sie Insekten als Äsung. In den neu angelegten Streifen hat sich jedoch noch keine Insektenfauna etablieren können, sofern die Säume überhaupt schon angelegt worden sind. „Wir setzen deshalb auf mehrjährige Rückzugs- und Saumflächen für wildlebende Tiere und die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft“, so der LJN-Vizepräsident.
Ein weiteres Problem sieht Schröer im geforderten Fünf-Jahres-Zeitraum, für den sich ein Landwirt bei einer Teilnahme z. B. am Niedersächsischen Agrar-Umweltprogramm (NAU) verpflichten muss. Landwirte müssten in der Lange sein, relativ kurzfristig auf Marktänderungen reagieren zu können, so der LJN-Vizepräsident. Auch seien die Vorgaben oftmals so kompliziert, dass sie eher abschreckten. Deshalb sei es sinnvoll, diese Maßnahmen praxistauglich abzuwandeln und z. B. den Verpflichtungszeitraum auf zwei Jahre zu reduzieren.
In das angedachte „Greening“ – Umweltmaßnahmen im Rahmen der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union mit einer Zwangsstilllegung von sieben Prozent der Ackerflächen – setzt Schröer große Hoffnung für die Artenvielfalt in der Kulturlandschaft: „Aber es werden erst noch einige Jahre ins Land gehen, bis das kommt, und dann dauert es noch, bis das greift.“ Zumal der Flächenanteil erheblich geringer ausfallen werde als bei der obligatorischen Flächenstilllegung. Schröer betont jedoch, dass es den Jägern nicht darum geht, irgendjemand die Schuld zuzuweisen. Vielmehr wollten sie gemeinsam mit den Landbewirtschaftern die Lebensgrundlagen der wildlebenden Tiere verbessern.
Natürlich gehe es den Jägern um das Niederwild, jedoch sei es ihnen ebenso wichtig, dem Schwund bei den anderen Arten der Kulturlandschaft von Wiesenbrütern über Insekten bis zu den verschiedensten Pflanzen entgegenzutreten, stellt Schröer klar. Zudem sei bei den Projektpartnern die Akzeptanz bei einem weiter gefassten Rahmen der Zielarten weitaus höher. Und das Niederwild profitiere ohnehin von den „allgemeinen“ Maßnahmen zur Förderung der Artenvielfalt.
Aus dem Biotop-Fonds der vier Jägerschaften sollen künftig verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung des Lebensraumes finanziert werden. Dadurch wollen die Grünröcke u. a. die biologische Vielfalt in der Agrarlandschaft erhalten und fördern sowie Biotope vernetzen. Für das Handeln der Jäger gibt es schließlich auch eine gesetzliche Grundlage im § 1 NJagdG, Abs. 1 u. 2: Mit dem Jagdrecht ist auch die Pflicht zur Hege verbunden. Das Ziel der Hege ist, einen den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnissen angepassten artenreichen und gesunden Wildbestand zu erhalten sowie dessen Lebensgrundlagen zu pflegen und zu sichern.
Das Biotop-Fonds-Programm ist zunächst für drei Jahre geplant. Die Jäger haben einen Katalog mit insgesamt zehn Projekten entwickelt. Als Maßnahmen sind eine mehrjährige Flächenstilllegung, Prädatoren-Management, Rettung von Wildtieren bei der Mahd, Nisthilfen, z. B. für Schwalben und Fledermäuse, oder die Anlage und Pflege von Strukturelementen wie Gewässer, Streuobstwiesen oder Hegebüsche angedacht. Weiterhin sollen die Übersaat alter Grünlandbrachen mit Wildkräutermischungen, die Einsaat von Zwischenfrüchten und das Wiederherstellen von Wegseitenräumen sowie Blühstreifen und Maßnahmen zur Verhütung von Wildunfällen gefördert werden. Zudem werden die Maßnahmen und deren Auswirkungen wissenschaftlich begleitet, um nach dem Projektzeitraum belastbare Daten zu erhalten.
Ein weiterer Vorteil des Fonds sei, dass die beteiligten Jägerschaften nun „mit einer Stimme“ gegenüber Projektpartner sprächen, erläutert Schröer. Als Partner konnte bereits die Vereinigung des Emsländischen Landvolkes (VEL) gewonnen werden. Fachlich und sachlich hätte deren Vertreter dem Anliegen der Jägerschaften zugestimmt. Gemeinsam mit ihnen und dem 3N-Kompetenzzentrum (Niedersachsen Netzwerk Nachwachsende Rohstoffe), den Landbewirtschaftern, den Landkreisen, der Landesjägerschaft und dem Landwirtschaftsministerium haben die Jäger die für die Landwirtschaft umsetzbaren und dem Artenschutz dienenden Maßnahmen entwickelt. Weitere mögliche Partner könnten u. a. auch die Jagdgenossenschaften sein, sagt Schröer, da die betroffenen Flächen deren Verantwortung unterlägen. Es müsste im Sinne jeder Jagdgenossenschaft sein, ihr zu verpachtendes Revier zu verbessern und Maßnahmen zum Erhalt der Artenvielfalt in der Feldflur zu unterstützen.
Um die verschiedenen Maßnahmen des Biotop-Fonds finanzieren zu können, werden derzeit noch Geldgeber gesucht. Es habe zwar bereits erfolgreiche Gespräche mit Stiftungen, Firmen und Behörden gegeben, berichtet Schröer, jedoch benötigten sie noch weitere Gelder, z. B. aus Spenden, um möglichst viele Maßnahmen umsetzen zu können.
Den Vorstand des Vereins bilden Schröer als Vorsitzender, Wilhelm Schepers, Naturschutz-Obmann der Jägerschaft Aschendorf-Hümmling, als sein Stellvertreter sowie Klaus Meixner, der das Amt des Kassenführers übernommen hat. NJ
Erschienen im „Niedersächsischen Jäger“ 3/2012
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